Eiweiß – Warum plötzlich alle glauben, sie müssten es löffelweise essen...
- Anne

- vor 4 Tagen
- 9 Min. Lesezeit
...und was wirklich dahinter steckt!
Es ist kaum zu übersehen: Ganz Deutschland scheint aktuell in einem kollektiven Eiweiß-Fieber zu stecken. In Fitnessstudios sieht man Menschen mit XXL-Shakern, die eher an Baustellenmischgeräte erinnern. Im Supermarkt lächeln uns „High Protein“-Labels von Pudding, Chips, Brötchen und – ich übertreibe nur minimal – vermutlich bald auch von Leitungswasser an.
Und während ich mit fachlich geschultem PNI-Blick (Psychoneuroimmunologie – für die, die ihre Abkürzungsreflexe nicht ständig im Anschlag haben) auf diese Entwicklung schaue, kann ich nicht anders, als gleichzeitig zu schmunzeln und innerlich die Stirn zu runzeln.
Es ist kaum zu übersehen: Wir leben mitten in einer Art gesellschaftlicher Eiweiß-Euphorie, die sich anfühlt, als hätte jemand im Kollektiv beschlossen, dass der einzige Weg zu Gesundheit, Stärke und einem erfüllten Leben über die tägliche Portion Protein führt. In Fitnessstudios sieht man Menschen, die ihre Shaker so sorgfältig mit sich herumtragen, als seien es heilige Gefäße, in denen sich das Elixier zur Erleuchtung befindet. Und im Supermarkt springen uns mittlerweile Produkte entgegen, die so aggressiv mit „High Protein“ beworben werden, dass man fast vergisst, dass es sich eigentlich nur um Pudding, Chips oder Toastbrot handelt. Manchmal habe ich das Gefühl, der nächste Trend wird sein, Leitungswasser mit Molkenaroma zu versetzen und es als „muskeloptimierte Hydration“ zu vermarkten.
Als Mentorin mit einem tiefen Verständnis dafür, wie Psyche, Nervensystem, Immunsystem und Biochemie miteinander tanzen, beobachte ich dieses Phänomen mit einer Mischung aus Faszination und stillem Kopfschütteln. Denn hinter dem kollektiven Griff zum Eiweißpulver steckt weit mehr als nur ein tatsächliches Bedürfnis des Körpers. Es ist das Gefühl, ständig etwas optimieren zu müssen; der subtile Druck, nicht nur gesund zu sein, sondern „besser“ gesund. Eiweiß wird zum Symbol, zum modernen Talisman, der uns verspricht, dass wir mit genügend Gramm pro Tag das Leben irgendwie leichter, kontrollierbarer, vielleicht sogar erfolgreicher meistern können. Und während ich diese Entwicklung betrachte, kann ich nicht anders, als liebevoll zu schmunzeln: Der menschliche Körper ist komplex, intelligent und wunderbar – aber eines ist er ganz sicher nicht, nämlich käuflich durch Vanille-Karamell-Pulver in einer 900-Gramm-Dose.
Warum glaubt plötzlich jeder, er müsse Eiweiß supplementieren?
Die kurze Antwort ist weiterhin simpel: Marketing funktioniert. Aber dahinter verbirgt sich eine psychologische Raffinesse, die man fast bewundern muss, wenn man sie nicht gerade durchschaut. Die Lebensmittel- und Fitnessindustrie hat es geschafft, aus einem ganz normalen, alltäglichen Makronährstoff eine Art Heilsversprechen zu formen. Eiweiß gilt heute als eine Mischung aus Superkraft, Jungbrunnen und schlankmachender Zauberformel – und wer möchte nicht wenigstens ein bisschen davon abbekommen?
In einer Gesellschaft, die sich permanent unter Strom fühlt, in der Selbstoptimierung fast als moralische Pflicht gilt, erscheint Eiweiß wie die perfekte Abkürzung. Ein Löffel Pulver, ein Shaker, ein kurzes Schütteln – und schon hat man das Gefühl, einen weiteren Punkt auf der unsichtbaren To-do-Liste des „besser funktionieren Müssens“ abgehakt zu haben. Menschen sehnen sich nach Struktur, nach der Erfahrung, etwas „richtig“ zu machen, nach dem beruhigenden Gefühl, die eigene Gesundheit aktiv in der Hand zu haben. Ein Eiweißshake wirkt dabei wie eine kleine tägliche Selbstbestätigung: „Siehst du? Heute tue ich etwas für mich.“
Aus Sicht der Psychoneuroimmunologie ist dieses Verhalten äußerst nachvollziehbar. Unser Gehirn liebt Rituale, gerade jene, die vermeintlich Klarheit und Kontrolle bringen. Die Industrie weiß das natürlich und spielt virtuos auf dieser Klaviatur. Mit geschickten Botschaften wird suggeriert, dass man fast schon fahrlässig lebt, wenn man nicht mindestens eine zusätzliche Portion Protein pro Tag zu sich nimmt. Es ist das raffinierte Spiel mit subtilen Ängsten: „Was, wenn ich nicht genug bekomme? Was, wenn andere dadurch fitter, schöner, leistungsfähiger werden als ich?“
Doch der Körper lässt sich von solchen Geschichten nicht beeindrucken. Er arbeitet nach physiologischen Gesetzen, nicht nach Werbeslogans. Trotzdem greifen viele reflexhaft zu Eiweißprodukten – nicht, weil der Körper sie unbedingt bräuchte, sondern weil die Psyche nach Sicherheit verlangt. Und genau hier beginnt der stille, aber entscheidende Unterschied zwischen echtem Bedarf und emotionalem Bedürfnis.
Welche „Wahrheiten“ uns die Industrie gern auftischt
Wenn man den Botschaften der Eiweißindustrie zuhört, könnte man meinen, dieser eine Makronährstoff sei das fehlende Puzzleteil im Geheimnis eines vollkommenen Lebens. Es klingt dann so, als würde alles ein bisschen leichter, schöner und erfolgreicher, sobald man nur genug Gramm Protein am Tag in sich hineinschaufelt. Und die Werbebranche versteht es glänzend, aus Halbwahrheiten beinahe religiöse Glaubenssätze zu formen.
Da wird zum Beispiel suggeriert, Eiweiß sei eine Art automatischer Schlankmacher, ein Wundermittel, das den Stoffwechsel ungefragt in den Turbo-Modus versetzt. Als würde allein der Gedanke an ein Proteinshake-Pulver ausreichen, damit die Fettzellen freiwillig die Koffer packen. Die Realität ist natürlich viel komplexer, denn unser Körper entscheidet nicht nach Marketinglogik, sondern nach hormonellen Wechselwirkungen, Schlafqualität, Stresshaushalt, Darmgesundheit und Bewegungsverhalten. Doch weil diese Zusammenhänge für die meisten Menschen viel zu unsichtbar sind, klingt die versprochene Abkürzung umso verlockender.
Genauso gern verkauft man uns die Idee, dass mehr zwangsläufig besser sei. Ein Hauch von „je höher die Zahl, desto näher bist du der Bestversion deiner selbst“. Und plötzlich fühlen sich 20 Gramm Protein nicht mehr wie eine sinnvolle Portion an, sondern wie eine Art Mindestgebet, das man nur mit 40 Gramm wirklich ernst meint. Der Körper hingegen zeigt sich erstaunlich unsentimental: Er nimmt, was er braucht, und der Rest ist – sagen wir es höflich – eine Belastung, die sich oft subtil, aber deutlich bemerkbar macht.
Besonders charmant ist auch die Behauptung, dass ohne Eiweißshakes gar nichts mehr geht. Als wäre der moderne Mensch plötzlich nicht mehr fähig, seinen Bedarf über natürliche Lebensmittel zu decken. Dabei haben Generationen vor uns körperlich hart gearbeitet, waren kräftig, gesund und leistungsfähig – ganz ohne „Cookies & Cream“-Aroma. Doch die Story, dass wir ohne Pulver hilflos und unvollständig seien, funktioniert so herrlich gut, dass sie sich fest in die Köpfe vieler Menschen eingebrannt hat.
Wenn man all diese Botschaften durch die Brille der Psychoneuroimmunologie betrachtet, dann entlarvt sich das Marketing schnell als eine fein dosierte Mischung aus Verführung, Vereinfachung und emotionaler Manipulation. Die Industrie berührt genau die Stellen, an denen wir uns unsicher fühlen: unsere Leistungsfähigkeit, unser Körperbild, unser Bedürfnis nach Kontrolle. Und indem sie diese Unsicherheiten anspricht, verwandelt sie ein alltägliches Nährstoffthema in eine persönliche Mission.
Wie viel Eiweiß braucht ein Mensch denn nun wirklich?
Wenn man die Stimmen all jener hört, die ihre Ernährungsweisheiten in den sozialen Medien mit der Inbrunst eines Fernsehpredigers verkünden, könnte man meinen, der menschliche Körper sei ein unersättliches Wesen, das von morgens bis abends nach Protein schreit. Ein Gramm zu wenig, und sofort bricht – so klingt es zumindest – eine Art metabolische Katastrophe über uns herein. Doch die Biologie ist sehr viel entspannter, als diese dramatisierten Mythen vermuten lassen.
Der tatsächliche Eiweißbedarf ist weder mystisch noch übermäßig kompliziert. Er hängt von körperlicher Aktivität, Muskelmasse, Stoffwechsel, Lebensstil und auch ein wenig von der Lebensphase ab. Aber er ist bei weitem nicht so hoch, wie die Industrie uns glauben machen möchte. Die meisten Menschen erreichen ihren Bedarf problemlos über eine normale Ernährung, ohne sich mit Shaker, Pulver und Grammzahlen durch den Tag navigieren zu müssen. Ein Mensch, der sich ausgewogen ernährt und nicht ausschließlich von Toastbrot, Nudeln und Süßigkeiten lebt, kommt erstaunlich zuverlässig auf jene Menge Eiweiß, die der Körper für Reparaturprozesse, Immunfunktionen, Hormonbildung und Muskelaufbau benötigt.
Wenn man all die unnötige Dramatik aus der Debatte herausfiltert und sich wirklich auf die Physiologie konzentriert, landet man immer wieder bei einem erstaunlich bodenständigen Wert. Ein durchschnittlicher Erwachsener, der sich normal bewegt, nicht im Leistungssport lebt und dessen Alltag nicht aus täglich drei Stunden intensiven Trainings besteht, kommt hervorragend mit etwa 0,8 bis 1 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht aus.
Selbst bei sportlich aktiven Menschen, die ihrem Körper regelmäßig intensive Reize setzen, bewegt sich der Bedarf in einem Rahmen, der alles andere als spektakulär ist. Natürlich macht es Sinn, auf eine etwas höhere Eiweißzufuhr zu achten, wenn Muskeln wachsen oder sich regenerieren sollen. Doch auch hier reden wir nicht von Heroismus, sondern von sinnvollen, moderaten Mengen – und längst nicht von dem Überfluss, der uns oft als unverzichtbar verkauft wird.
Wer regelmäßig Sport treibt, also wirklich mehrmals pro Woche aktiv ist, läuft sehr gut mit einer Menge von etwa 1,2 bis 1,6 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht. Und selbst für Menschen, die im Kraftsport ambitioniert unterwegs sind, die Gewichte nicht nur heben, sondern nahezu liebevoll umarmen, liegt die vernünftige Obergrenze bei rund 1,8 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht.
Mehr als das klingt zwar in manchen Fitnessblasen beeindruckend, bringt aber in den allermeisten Fällen keinen zusätzlichen Nutzen und kann den Körper eher belasten, als ihn zu stärken. Der Körper ist an dieser Stelle viel pragmatischer, als wir glauben möchten: Er nimmt, was er braucht – und nicht, was auf Instagram empfohlen wird.
Interessant wird es, wenn man sich anschaut, wie unterschiedlich die Wahrnehmung von Bedarf und Realität sein kann. Viele Menschen, die felsenfest davon überzeugt sind, zu wenig Eiweiß zu essen, liegen in Wahrheit schon längst im optimalen Bereich. Das Missverständnis entsteht häufig dadurch, dass wir verlernt haben, unserem eigenen Körper zu vertrauen. Stattdessen lauschen wir lieber Influencern, Anzeigen oder Fitness-Gurus, die uns erzählen, dass wir ohne zusätzliche 30 Gramm am Tag quasi auf Sparflamme laufen. Die Psychoneuroimmunologie zeigt jedoch sehr klar, wie sensibel der Körper auf Überfluss reagieren kann: Verdauung, Stoffwechsel, hormonelle Balance und Immunsystem mögen keine permanenten Übertreibungen. Sie lieben Stabilität, Rhythmus und eine Versorgung, die nicht auf Angst, sondern auf Verständnis basiert.
Eiweiß ist also wichtig, keine Frage. Aber es ist ein Baustein von vielen, nicht das Zentrum des Universums. Der Körper braucht davon genug – aber er braucht genauso ausreichend Schlaf, Stressregulation, Bewegung, emotionale Verbundenheit und all die anderen leisen Faktoren, die viel mehr zur Gesundheit beitragen als ein überdosierter Vanille-Shake.
Der eigentliche Knackpunkt: Warum greifen trotzdem so viele zu Eiweißpulver?
Es wäre zu einfach, das Thema allein auf mangelndes Wissen oder geschicktes Marketing zu reduzieren. Hinter dem Griff zum Eiweißpulver steckt oft etwas viel Tieferes – etwas zutiefst Menschliches. Wenn ich Menschen beobachte, wie sie ihre Shaker füllen, sorgfältig abmessen, den Deckel zudrehen und die Mischung mit einem fast schon rituellen Ernst schütteln, dann sehe ich darin kein bloßes Nahrungsergänzungsmittel, sondern ein kleines Alltagsritual. Eine Mini-Zeremonie, die ihnen für einen Moment das Gefühl gibt, das eigene Leben im Griff zu haben.
In der Psychoneuroimmunologie betrachten wir genau solche Verhaltensweisen mit besonderem Interesse, weil sie selten zufällig sind. Menschen greifen nicht zu Eiweißpulver, weil sie unbedingt Eiweiß brauchen – sie greifen dazu, weil sie ein Bedürfnis haben, das weit über Biochemie hinausgeht. Es geht um das Gefühl der Kontrolle in einer Welt, die oft chaotisch wirkt. Um das Empfinden, aktiv etwas für die eigene Gesundheit zu tun, auch wenn man innerlich spürt, dass man sich schon lange nicht mehr wirklich mit dem eigenen Körper verbunden hat.
Viele Menschen wünschen sich eine Art Abkürzung: etwas, das ihnen das Gefühl gibt, sie seien „auf dem richtigen Weg“, selbst wenn der Rest ihres Lebens aus Stress, Schlafmangel und emotionaler Überforderung besteht. Eiweißpulver füllt diese Lücke perfekt, denn es ist leicht zugänglich, klar dosierbar und vermittelt das angenehme Gefühl, sich selbst nicht zu vernachlässigen. Es ist eine Art symbolischer Schutzmantel gegen das schlechte Gewissen.
Hinzu kommt die soziale Komponente. Wer einen Shaker in der Hand hält, wirkt automatisch wie jemand, der „dran ist“, der etwas für sich tut. In Fitnessstudios, aber auch in alltäglichen Situationen entsteht so fast eine stille Zugehörigkeit. Ob bewusst oder unbewusst – viele genießen diesen Moment der Identifikation. Man gehört dazu, man macht das, was „man“ eben macht. Und wer möchte schon der Einzige sein, der keinen Shake trinkt, während alle anderen aussehen, als würden sie sich täglich für eine Bodybuilding-Gala vorbereiten?
Doch der eigentliche Punkt ist: Das Eiweißpulver selbst ist nie die Lösung. Es ist oft nur der sichtbare Ausdruck eines unsichtbaren Bedürfnisses – dem nach Sicherheit, Orientierung, Struktur oder Bestätigung. Und genau hier zeigt sich, wie wichtig es ist, das eigene Verhalten ehrlich zu reflektieren: Trinke ich diesen Shake, weil mein Körper ihn braucht, oder trinke ich ihn, weil meine Seele nach etwas greift, das sich wie Kontrolle anfühlt?
Fazit – oder warum es am Ende nie nur um Eiweiß geht
Wenn wir all die Schichten abtragen, die Mythen, die Werbebotschaften, die Halbwahrheiten und die kleinen Selbsttäuschungen, dann bleibt am Ende eine Erkenntnis übrig, die gleichzeitig beruhigend und befreiend ist: Unser Körper braucht Eiweiß, ja – aber er braucht vor allem uns. Unsere Aufmerksamkeit. Unsere Ehrlichkeit. Unsere Bereitschaft, zu spüren, statt blind zu konsumieren.
Eiweiß ist ein Baustein, nicht die Lösung für alles. Es ist ein Teil des Systems, nicht das System selbst. In Wahrheit entscheidet nicht die Grammzahl darüber, wie gut wir uns fühlen, sondern die Art, wie wir mit uns umgehen. Wie wir leben, wie wir denken, wie wir schlafen, wie wir uns bewegen, wie wir uns nähren – körperlich, emotional und mental.
Als Mentorin sehe ich immer wieder, wie Menschen aufblühen, sobald sie anfangen, sich selbst nicht mehr als Baustelle zu betrachten, die mit Pulver und Shakes stabilisiert werden muss, sondern als komplexes, sensibles, wunderbares Zusammenspiel aus Körper, Geist und Immunsystem. Und aus genau dieser Perspektive wird sichtbar, dass wahre Gesundheit aus der Tiefe entsteht – nicht aus der Dose.
Vielleicht ist es Zeit, wieder ein Gespür dafür zu entwickeln, was wirklich fehlt und was nur ein Ersatzgefühl war. Denn oft braucht unser Körper etwas ganz anderes, als wir glauben. Und manchmal ist der mutigste Schritt nicht der nächste Shake, sondern die nächste ehrliche Frage an uns selbst.
Und genau da möchte ich dich lassen: Welche Sehnsucht oder welches Bedürfnis steckt bei dir wirklich hinter dem Griff zum Eiweiß – und was würdest du entdecken, wenn du einmal ganz neugierig nach innen lauschen würdest?
Welche Wahrheit über dein eigenes Ernährungsverhalten möchtest du als nächstes entdecken?
Hinterlasse mir gerne einen Kommentar, ich freue mich schon darauf!


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